Erteilung einer Bescheinigung nach § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG bei unbeschränkt steuerpflichtigen Holdingkapitalgesellschaften
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Nach der am 10.5.2024 veröffentlichten Entscheidung des BFH vom 12.12.2023, VIII R 31/21, ist bei einer Kapitalgesellschaft, deren Einnahmen ausschließlich aus nach § 8b Abs. 1 KStG (weitgehend) steuerfreien Beteiligungseinkünften bestehen, eine zwangsläufige Überzahlersituation aufgrund der „Art der Geschäfte“ im Sinne des § 44a Abs. 5 Satz 1 EStG dauerhaft gegeben, so dass eine Bescheinigung gemäß § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG vom Finanzamt auszustellen ist (Anpassung der BFH-Rechtsprechung an die geänderte Rechtslage).
Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine GmbH. Gegenstand des Unternehmens ist neben dem Halten und Verwalten eigenen Vermögens auch die Beratung von Unternehmen (ohne Rechts- oder Steuerberatung). Die Klägerin ist Alleingesellschafterin der XY GmbH (im Weiteren: Tochtergesellschaft). Andere Beteiligungen hat die Klägerin seit ihrer Gründung nicht. Aus der Beteiligung bezieht die Klägerin jährliche Ausschüttungen. Beratungsleistungen erbringt sie nur gegenüber ihrer Tochtergesellschaft, um ihre Gewinnausschüttungen zu steigern. Da sie nicht über eigenes Personal verfügt, kauft sie die Beratungsleistungen ein und stellt sie der Tochtergesellschaft weitgehend kostendeckend zur Verfügung. Die festgesetzte Körperschaftsteuer war in der Vergangenheit stets niedriger als die anzurechnende Kapitalertragsteuer.
Mit Schreiben vom 11.10.2016 beantragte die Klägerin eine Bescheinigung gemäß § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG ab dem 1.1.2016. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Nach erfolglosem Einspruch hat die Klägerin Klage auf Erteilung einer Bescheinigung gemäß § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG erhoben. Die Klage hatte Erfolg (Finanzgerichts München v. 15.3.2021, 7 K 1827/18, EFG 2021, 759). Hiergegen wendet sich die Revision des Finanzamts.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist unbegründet. Das vorinstanzliche FG hat rechtsfehlerfrei erkannt, dass die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung der Bescheinigung gemäß § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG hat.
Der BFH hat § 44a Abs. 5 Satz 4 EStG in der Vergangenheit restriktiv ausgelegt. Die Überzahlersituation muss danach auf der Geschäftsstruktur beruhen (vgl. BFH v. 27.8.1997, I R 22/97, BStBl II 1997, 817; v. 29.3.2000, I R 32/99, BStBl II 2000, 496). Sie muss der ausgeübten Geschäftstätigkeit derart immanent sein, dass ein wirtschaftlich besseres Ergebnis zwangsläufig nicht erzielt werden kann. Unerheblich ist, wenn sich eine Überzahlersituation aus der jeweiligen Marktsituation ergibt (vorüberge hende Gewinnlosigkeit, Preisverfall, Insolvenz oder schlechte Marktlage) oder wenn sie auf individuel len Gegebenheiten beruht. Wäre es dem Steuerpflichtigen tatsächlich und nach seinem satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand möglich, die Überzahlersituation abzuwenden, ist diese nicht strukturell bedingt. Der BFH hat deshalb einen Anspruch auf die Erteilung der Bescheinigung stets verneint, wenn die Überzahlersituation nicht auf die „Art der Geschäfte“ zurückzuführen war, sondern auf die Art und Weise, in der diese ausgeübt wurden. Die Überzahlersituation liegt „auf Dauer“ vor, wenn ihr Ende auf einen noch nicht feststehenden und nicht absehbaren Zeitpunkt fällt (vgl. BFH v. 20.12.1995, I R 118/94, BStBl II 1196, 199).
Der erkennende Senat schließt sich der bisherigen BFH-Rechtsprechung im Grundsatz an. Soweit der BFH allerdings in der Vergangenheit eine auf Dauer bestehende strukturelle Überzahlersituation bei Holdingkapitalgesellschaften verneint hat, lag dem eine andere Rechtslage zugrunde. Mit der Neufassung des § 8b Abs. 1 KStG durch das Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 (BGBl I 2000, 1433) sind laufende (§ 8b Abs. 1 Satz 1 KStG) und einmalige (§ 8b Abs. 2 Satz 1 KStG) Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG unter weiteren Voraussetzungen in der Regel zu 95 % steuerfrei gestellt worden.
Soweit die Einnahmen einer Holdingkapitalgesellschaft ausschließlich aus nach § 8b Abs. 1 KStG (weitgehend) steuerfreien Beteiligungseinkünften bestehen, ist bei ihr aus Rechtsgründen zwangsläufig eine Überzahlersituation aufgrund der „Art der Geschäfte“ dauerhaft gegeben, denn gemäß § 43 Abs. 1 Satz 3 EStG ist § 8b Abs. 1 KStG beim Kapitalertragsteuerabzug nicht zu berücksichtigen. Die (weitgehende) Steuerfreiheit der Beteiligungserträge wird erst durch die Anrechnung der einbehaltenen und
abgeführten Kapitalertragsteuer bewirkt, die gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG im Rahmen der Veranlagung erstattet werden kann. Dabei wird die „Art der Geschäfte“ - wie bisher - im Regelfall durch die im Rahmen des satzungsgemäßen Gegenstands tatsächlich entfaltete Tätigkeit bestimmt.
Sieht die Satzung einer Holdingkapitalgesellschaft vor, dass die Gesellschaft auch eine weitere Geschäftstätigkeit entfalten darf, mit der sie die Überzahlersituation vermeiden könnte, kommt es darauf nicht an, wenn die Gesellschaft von dieser Möglichkeit tatsächlich dauerhaft keinen Gebrauch macht und nach ihrer Struktur auch nicht dazu in der Lage wäre, eine solche weitere Geschäftstätigkeit auszuüben. Dasselbe gilt, wenn die Gesellschaft von der Ermächtigung zwar Gebrauch macht, dabei aber nicht am Markt tätig wird und wenn sie ohne vorherige Änderung ihrer Struktur nicht in der Lage wäre, die entfaltete Tätigkeit mit Gewinn auch am Markt anzubieten. Der Dauerhaftigkeit einer solchen Situation steht nicht entgegen, dass die Gesellschaft ihre Struktur ändern könnte.
Beratungshinweis:
Mit der vorliegenden Besprechungsentscheidung dürfte es für die Praxis leichter werden, eine Befreiung vom Kapitalertragsteuerabzug und damit Liquiditätsvorteile bei einer Holdingkapitalgesellschaft zu erreichen, deren Einnahmen ausschließlich aus steuerfreien Beteiligungseinkünften bestehen.
Bei Kapitalerträgen, die dem Kapitalertragsteuerabzug unterliegen und die einem unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtigen Gläubiger zufließen, ist der Steuerabzug nicht vorzunehmen, wenn die Kapitalerträge Betriebseinnahmen des Gläubigers sind und die Kapitalertragsteuer bei ihm aufgrund der Art seiner Geschäfte auf Dauer höher wäre als die gesamte festzusetzende Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer (§ 44a Abs. 5 Satz 1 EStG). Diese Voraussetzungen sind durch eine Bescheinigung des für den Gläubiger zuständigen Finanzamts nachzuweisen (§ 44a Abs. 5 Satz 4 EStG). Die Bescheinigung ist unter dem Vorbehalt des Widerrufs auszustellen (§ 44a Abs. 5 Satz 5 EStG).
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Der Autor: Dr. Alexander Kersten - Rechtsanwalt, Steuerberater und geschäftsführender Partner bei STEIN Rechtsanwälte Steuerberater in Köln. Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Stollfuß Verlags – Zweigniederlassung der Lefebvre Sarrut GmbH – zur Verfügung gestellt. Der Beitrag wurde im Newsletter eNews Steuern, Nr. 19/2024 vom 14.05.2024 veröffentlicht