Verdeckte Gewinnausschüttung - Irrtümliche Zuwendung und Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis
Foto(s): ChatGPT, urheberfrei
Nach der am 11.4.2024 veröffentlichten Entscheidung des BFH vom 22.11.2023, I R 9/20, ist für die Frage, ob eine Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, bei der Prüfung eines möglicherweise fehlenden Zuwendungswillens aufgrund Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers nicht darauf abzustellen, ob einem ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiter der Irrtum gleichfalls unterlaufen wäre. Maßgebend ist allein, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem solchen Irrtum unterlegen ist.
Sachverhalt:
Klägerin ist eine GmbH, deren Stammkapital durch die alleinige Gesellschafterin B durch Einbringung eines 100%igen Geschäftsanteils an der T-GmbH sowie durch Bareinlage erbracht wurde. Im Rahmen einer Kapitalerhöhung der T-GmbH in 2008 wurde irrtümlicherweise zur Übernahme des neu gebildeten Geschäftsanteils an der T-GmbH in der notariellen Beschlussurkunde nicht die Klägerin, sondern
die B zugelassen. Die Urkunde wurde von B unterzeichnet und die Kapitalerhöhung nach entsprechender Anmeldung in das Handelsregister eingetragen.
Die Klägerin bilanzierte in der Folge allerdings beide Geschäftsanteile an der T-GmbH in ihrem Anlagevermögen. Sämtliche in der Folgezeit gefassten Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der T GmbH wurden allein durch die Klägerin gefasst.
Im Jahr 2013 führte das Finanzamt bei der Klägerin eine Außenprüfung durch und gelangte zu der Ansicht, dass die Klägerin auf eine Teilnahme an der Kapitalerhöhung bei der T-GmbH verzichtet und sie stattdessen unentgeltlich B ermöglicht habe, daran teilzunehmen. In diesem Verzicht liege eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) zugunsten der B, die mit dem Teilwert des im Rahmen der Kapitalerhöhung von B erworbenen Geschäftsanteils zu bewerten sei. Ferner habe die Klägerin anstelle der B die Stammeinlage eingezahlt. Auch darin sei eine vGA zu sehen.
Das Finanzamt folgte diesen Feststellungen und erließ am 5.9.2014 geänderte Bescheide unter anderem über die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag 2008 (Streitjahr). Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage vor dem Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht (FG), die erfolglos blieb (Urteil v. 28.11.2019, 1 K 88/16, EFG 2020, 595). Hiergegen wendet sich die Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das vorinstanzliche FG. Das FG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass es für die Frage, ob eine Vermögensverschiebung von einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, im Falle eines (vermeintlichen) Irrtums des Gesellschafter-Geschäftsführers bei der zur Vermögensverschiebung führenden Beschlussfassung auf den objektivierenden Maßstab eines ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiters und dabei darauf ankomme, ob einem solchen Geschäftsleiter ein solcher Irrtum unterlaufen wäre. Vielmehr ist alleine maßgebend, ob der konkrete Gesellschafter-Geschäftsführer einem Irrtum unterlegen war, sodass diese Frage vom FG nicht offengelassen werden konnte, sie vielmehr noch aufzuklären ist.
Es ist zunächst offensichtlich und zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit, dass B aufgrund des Gesellschafterbeschlusses 2008 das zivilrechtliche Eigentum an dem durch die Kapitalerhöhung entstandenen Geschäftsanteil erworben hat. Mit der Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister wurde die dort enthaltene Übertragungsvereinbarung wirksam und B, die zuvor nicht (mehr) Gesellschafterin der GmbH gewesen war, wurde durch die Übernahme des neuen Geschäftsanteils deren Gesellschafterin. Dabei wurde B begünstigt, indem sie - unentgeltlich - zur Teilnahme an der Kapitalerhöhung zugelassen wurde.
Der erkennende Senat kann indessen nicht abschließend darüber entscheiden, ob die verhinderte Vermögensmehrung auf Seiten der Klägerin ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis gehabt hat. Eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis ist nach der Senatsrechtsprechung anzunehmen, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter oder einer diesem nahestehenden Person einen Vermögensvorteil zuwendet, den sie bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiters einem Nichtgesellschafter nicht gewährt hätte. Diese Grundsätze gelten aber nicht uneingeschränkt, da es zur Annahme einer vGA - so wie bei einer offenen Gewinnausschüttung - eines Zuwendungswillens bedarf. Mit den vorgenannten Ausführungen ist die Auffassung des FG, wonach es darauf ankommen soll, ob auch ein ordentlich und gewissenhaft handelnder Geschäfts leiter im konkreten Fall die Vermögensverschiebung aufgrund Irrtums nicht erkannt hätte, nicht vereinbar. Richtig ist vielmehr, dass subjektive Entschuldigungsgründe unabhängig vom verobjektivierenden Maßstab des ordentlich und gewissenhaft handelnden Geschäftsleiters die „konkrete“ Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis entfallen lassen können (zutreffend Gosch in Gosch, KStG, 4. Aufl., § 8 Rz 277; Neumann in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 2. Aufl., § 8 Rz 227 und 1193).
Legt der Gesellschafter-Geschäftsführer vielmehr glaubhaft dar, dass eine Vermögensverschiebung an ihn nicht stattfinden sollte und dass damit kein Zuwendungsbewusstsein vorhanden war, ist der konkrete betriebliche Veranlassungszusammenhang gesichert und man gelangt bei der Prüfung nicht mehr zu einer „Umdeutung“ infolge des gedachten Norm-Verhaltens eines typisierten sorgfältig handelnden Geschäftsführers. In derartigen Ausnahmefällen ist es daher möglich, dass es dem Gesellschafter-Geschäftsführer gelingt, entgegenstehende Vermutungen des Fremdvergleichs durch einen konkreten Veranlassungsnachweis zu widerlegen (zutreffend Gosch in Gosch, KStG, 4. Aufl., § 8 Rz 277).
Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist sein Urteil aufzuheben. Maßgebend ist die Frage, ob B zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 2008 tatsächlich einem Irrtum über den Inhalt des Beschlusses unterlag. Bei dieser Tatsachenfrage kommt es entscheidend auf die Glaubhaftigkeit der Einlassungen der B und ihre Glaubwürdigkeit an; eine entsprechende Tatsachenfeststellung und -würdigung ist Aufgabe des FG als Tatsachengericht.
Haben Sie konkrete Fragen oder benötigen Sie rechtliche Beratung zu diesem Thema? Unser Team steht Ihnen gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns noch heute für eine individuelle Beratung.
Der Autor: Dr. Alexander Kersten - Rechtsanwalt, Steuerberater und geschäftsführender Partner bei STEIN Rechtsanwälte Steuerberater in Köln. Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Stollfuß Verlags – Zweigniederlassung der Lefebvre Sarrut GmbH – zur Verfügung gestellt. Der Beitrag wurde im Newsletter eNews Steuern, Nr. 15/2024 vom 16.04.2024 veröffentlicht