Zufluss nicht ausgezahlter Tantiemen bei beherrschendem Gesellschafter-Geschäftsführer

Foto(s): ChatGPT, urheberfrei

Nach der am 4.7.2024 veröffentlichten Entscheidung des BFH vom 5.6.2024, VI R 20/22, fließen einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer Einnahmen aus Tantiemeforderungen gegen seine Kapitalgesellschaft bereits bei Fälligkeit zu (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung). Fällig wird der Tantiemeanspruch mit der Feststellung des Jahresabschlusses, sofern die Vertragsparteien nicht zivilrechtlich wirksam und fremdüblich eine andere Fälligkeit im Anstellungsvertrag vereinbart haben. Tantiemeforderungen, die in den festgestellten Jahresabschlüssen nicht ausgewiesen sind, fließen dem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht zu, auch wenn eine dahingehende Verbindlichkeit nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung in den (festgestellten) Jahresabschlüssen hätte gebildet werden müssen (a.A. Schreiben des BMF v. 12.5.2014, BStBl I 2014, 860). 

Sachverhalt: 

Der Kläger ist alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH. Nach § 3 des Geschäftsführervertrags erhält der Kläger für seine Tätigkeit ein monatliches Bruttogehalt. Des Weiteren ist ihm darin eine Tantieme in Höhe von 20 % des Jahresgewinns zugesagt, die einen Monat nach Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung zu zahlen und der Höhe nach auf maximal 30 % der Festvergütung begrenzt ist. Die vereinbarten Tantiemen wurden dem Kläger in den Streit jahren (2015 bis 2017) weder ausgezahlt noch hat die GmbH in den Jahresabschlüssen entsprechende Passivposten gebildet. 

In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre gab der Kläger Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit ohne Tantiemen an und wurde entsprechend veranlagt. Im Anschluss an eine Lohnsteuer Außenprüfung bei der GmbH ging das Finanzamt sodann davon aus, dass auch die nicht ausgezahlten 

Tantiemen jeweils in der vereinbarten Höhe von 20 % des Gewinns des Vorjahres vom Kläger als Arbeitslohn zu versteuern seien, und änderte die Einkommensteuerfestsetzungen für die Streitjahre. 

Nach erfolglosen Einsprüchen gab das FG Baden-Württemberg der Klage statt (Urteil v. 30.6.2022, 12 K 58/20, EFG 2023, 193). Hiergegen richtet sich die Revision des Finanzamts. 

Entscheidungsgründe: 

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. 

Tantiemen gehören zum steuerpflichtigen Arbeitslohn (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des EStG). Ihre Besteuerung setzt allerdings voraus, dass sie als sonstiger Bezug dem Arbeitnehmer nach § 11 Abs. 1 Satz 4, § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG zugeflossen sind. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung tritt der Zufluss mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht ein (z.B. Senatsurteil v. 28.4.2020, VI R 44/17, BStBl II 2021, 392 m.w.N.). Das ist in der Regel der Zeitpunkt des Eintritts des 

Leistungserfolgs. Geldbeträge fließen danach zu, wenn sie dem Empfänger bar ausbezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden (z.B. Senatsurteil v. 22.2.2018, VI R 17/16, BStBl II 2019, 496, m.w.N.). 

Der BFH geht zudem in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern ein Zufluss von Einnahmen auch ohne Zahlung oder Gutschrift vorliegen kann. Danach fließt dem alleinigen oder jedenfalls beherrschenden Gesellschafter eine eindeutige und unbestrittene Forderung gegen „seine“ Kapitalgesellschaft bereits mit deren Fälligkeit zu. Denn ein beherrschender Gesellschafter hat es regelmäßig in der Hand, sich geschuldete Beträge auszahlen zu 

lassen, wenn der Anspruch eindeutig, unbestritten und fällig ist. Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der Ermittlung des Einkommens der Kapitalgesellschaft ausgewirkt haben (Senatsurteile v. 12.7.2021, VI R 3/19; v. 28.4.2020, VI R 44/17, BStBl II 2021, 392, jeweils m.w.N.; a.A. BMF-Schreiben v. 12.5.2014, BStBl I 2014, 860). Fällig wird der Anspruch auf Tantiemen erst mit der Feststellung des Jahresabschlusses, sofern die Vertragsparteien nicht zivilrechtlich wirksam und fremdüblich eine andere Fälligkeit im Anstellungsvertrag vereinbaren (Senatsurteil v. 28.4.2020, VI R 44/17, BStBl. II 2021, 392). 

Überdies kann der Verzicht des Gesellschafters auf seinen Vergütungsanspruch zum Zufluss des Forderungswerts führen, soweit mit ihm eine verdeckte Einlage erbracht wird (Beschluss des Großen Senats des BFH v. 9.6.1997, GrS 1/94, BStBl. II 1998, 307). 

Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des FG hat die GmbH die Tantiemeforderungen des Klägers in ihren Jahresabschlüssen nicht als Verbindlichkeit abgebildet. Diese Jahresabschlüsse hat die Gesellschafterversammlung der GmbH entsprechend (unverändert) festgestellt. Folglich waren die streitigen Tantiemeansprüche nicht fällig. Es fehlt vorliegend an Feststellungen des FG, war um die Tantiemen nicht ausgezahlt beziehungsweise entsprechende Forderungen des Klägers nicht als Verbindlichkeiten passiviert worden sind. Insbesondere ist hieraus nicht zu erkennen, ob der Kläger einvernehmlich mit der GmbH die Tantiemezusage vor der Entstehung der Tantiemeansprüche zum jeweiligen Jahresende aufgehoben hat, oder ob der Kläger auf die bereits entstandenen Tantiemeansprüche verzichtet hat. Nur in letzterem Fall wäre eine verdeckte Einlage der Forderungswerte der Tantiemeansprüche in die GmbH zu bejahen. Die Vorentscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend dar. Sie ist deshalb aufzuheben. Das FG wird im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, ob und falls ja, wann der Kläger auf die in dem Geschäftsführervertrag vereinbarten Tantiemeansprüche gegenüber der GmbH verzichtet hat. 


Haben Sie konkrete Fragen oder benötigen Sie rechtliche Beratung zu diesem Thema? Unser Team steht Ihnen gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns noch heute für eine individuelle Beratung.

Der Autor: Dr. Alexander Kersten - Rechtsanwalt, Steuerberater und geschäftsführender Partner bei STEIN Rechtsanwälte Steuerberater in Köln. Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Stollfuß Verlags – Zweigniederlassung der Lefebvre Sarrut GmbH – zur Verfügung gestellt. Der Beitrag wurde im Newsletter eNews Steuern, Nr. 27/2024 vom 09.07.2024 veröffentlicht