Zweifel an der Wirksamkeit der Steuerberaterplattform- und -postfachverordnung

Nach der am 10.5.2024 veröffentlichten Entscheidung des BFH vom 17.4.2024, X B 68, 69/23, setzt der wirksame Erlass einer Rechtsverordnung unter anderem voraus, dass die entsprechende formellgesetzliche Ermächtigungsgrundlage im Zeitpunkt des Erlasses der Rechtsverordnung bereits in Geltung gestanden hat (BVerwG v. 20.4.2023, 2 C 18.21, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2023, 1423, Rz 16). Von einer Ermächtigung kann erst Gebrauch gemacht werden, wenn sie vorliegt (BVerfG v. 26.7.1972, 2 BvF 1/71, BVerfGE 34, 9, unter B.II.2.). Vor diesem Hintergrund ist zweifelhaft, ob die Steuerberaterplattform- und -postfachverordnung, die Grundlage für die Erstregistrierung zum besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach, für dessen Ausgestaltung und damit für die Nutzungspflicht nach § 52d Satz 2 FGO ist, wirksam geworden ist. Sie wurde am 25.11.2022 erlassen (BGBl I 2022, 2105 vom 30.11.2022); ihre Ermächtigungsgrundlage (§ 86f des Steuerberatungsgesetzes -StBerG-) war aber erstmals nach Ablauf des 31.12.2022 anzuwenden (§ 157e StBerG). 

Sachverhalt: 

Der Kläger erzielt aus einem Einzelunternehmen Einkünfte aus Gewerbebetrieb. In der Sache selbst ist für das Streitjahr 2020 die Anerkennung eines Fahrtenbuchs für einen sowohl betrieblich als auch privat genutzten Personenkraftwagen streitig. Der Kläger wird durch eine Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (P) vertreten, die aus Rechtsanwälten, Steuerberatern, einem Wirtschaftsprüfer und einem vereidigten Buchprüfer besteht. Der sachbearbeitende Berufsträger (S) ist Steuerberater. 

P, vertreten durch S, erhob gegen die Einspruchsentscheidungen vom 7.12.2022 am 10.1.2023 per Telefax Klagen. Das FG bestätigte zwar am 18.1.2023 zunächst den Eingang der Klagen und teilte die Aktenzeichen mit. Am 27.2.2023 wies es darauf hin, dass die Vorschrift des § 52d Satz 2 FGO bei Erhebung der Klagen nicht beachtet worden sei. Am 28.2.2023 beantragte der Kläger über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wiederholte seine Klage und erläuterte auf Anforderung des FG sein Vorbringen mit Schreiben vom 21.3.2023 näher. Er ist der Auffassung, das beSt habe S im Zeitpunkt der Klageerhebungen noch nicht zur Verfügung gestanden. 

Das FG verwarf die Klagen als unzulässig, weil die Klagefrist nicht gewahrt worden sei (Urteile des Niedersächsischen Finanzgerichts v. 23.5.2023, 8 K 10/23 und 8 K 11/23). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, da der Wiedereinsetzungsantrag samt Nachholung der versäumten Rechtshandlung bereits verspätet gestellt worden sei. Hiergegen richten sich die Beschwerden des Klägers. 

Entscheidungsgründe: 

Die Beschwerden sind begründet. Es liegt ein vom Kläger geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidungen des FG beruhen können (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Der Senat hält es zudem für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, die angefochtenen Urteile aufzuheben und die Sachen zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der Senat im Hinblick auf die zu klärende Frage, ob die Klagen wegen Nichtbeachtung des § 52d Satz 2 FGO nicht in der vorgeschriebenen Form erhoben wurden, - ohne Bindungswirkung für das FG - auf die folgenden Punkte hin: 

Als „gemischte“ Berufsausübungsgesellschaft, in der neben Steuerberatern auch Rechtsanwälte tätig sind, unterliegt P gemäß § 52d Satz 1 FGO bereits ab dem 1.1.2022 der sogenannten aktiven Nutzungspflicht (der Verpflichtung, Schriftsätze als elektronisches Dokument zu übermitteln), sofern ein Rechtsanwalt für sie handelt. Umgekehrt jedoch ist § 52d Satz 2 FGO anzuwenden, sofern - wie hier - ein Steuerberater für P handelt (BFH v. 25.10.2022, IX R 3/22, BStBl II 2023, 267, Rz 19 f.). Das FG wird sich indes damit befassen müssen, ob die Registrierungspflicht der Steuerberater für das beSt eine ausreichende Rechtsgrundlage besitzt. 

§ 86f Nr. 2 StBerG ermächtigt das Bundesministerium der Finanzen (BMF), durch Rechtsverordnung nach Anhörung der Bundessteuerberaterkammer (BStBK) mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten des beSt zu regeln. § 86f StBerG ist durch Art. 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe vom 7.7.2021 (BGBl I 2021, 2363) eingefügt worden. Dieses Gesetz ist am 1.8.2022 in Kraft getreten. § 86f StBerG ist jedoch erstmals nach Ablauf des 31.12.2022 anzuwenden (§ 157e StBerG). Die Steuerberaterplattform- und -postfachverordnung (StBPPV) wurde am 25.11.2022 erlassen und am 30.11.2022 verkündet (BGBl I 2022, 2105), beides mithin nach dem Inkrafttreten, aber vor der Anwendbarkeit ihrer formellgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. 

Sollte der Erlass der StBPPV zu einem Zeitpunkt, in dem die Ermächtigungsgrundlage noch nicht anwendbar war, einen Fehler im Rechtsetzungsverfahren begründen, dürfte dieser Fehler nicht durch die spätere Anwendbarkeit der Ermächtigungsgrundlage geheilt worden sein. Eine solche Heilung hat schon das BVerfG in seinem Urteil vom 26.7.1972 (2 BvF 1/71, BVerfGE 34, 9, unter B.II.2.) für künftige Fälle nicht in Betracht gezogen und später klargestellt, eine rückwirkende Heilung kompetenz rechtlicher Verstöße sei ausgeschlossen, weil die ermächtigende Norm in Kraft gesetzt sein müsse, bevor die darauf gestützte Norm ergehen könne (BVerfG v. 25.2.1999, 1 BvR 1472/91, 1 BvR 1510/91, NJW 1999, 3404, unter II.2.a bb). Ebenso geht das BVerwG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine ohne in Geltung befindliche Ermächtigungsgrundlage erlassene Rechtsverordnung nicht lediglich schwebend unwirksam, sondern nichtig sei und gegebenenfalls neu erlassen werden müsse (BVerwG v. 29.4.2010, 2 C 77.08, BVerwGE 137, 30, Rz 20, v. 20.4.2023, 2 C 18.21, BVerwGE 178, 201, Rz 16). 

Sollte die StBPPV nichtig sein, könnte es derzeit an einer Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung der Steuerberater zur Erstregistrierung fehlen. 

Beratungshinweis: 

Die Einführung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs (beSt) wirft neben technischer Umsetzungsschwierigkeiten auch formalrechtliche Probleme auf, die nun vom BFH klar und unmissverständlich artikuliert werden. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wie das Niedersächsische Finanzgericht nun die Rechtswirksamkeit der StBPPV mit allen möglichen Konsequen zen beurteilt. 

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Der Autor: Dr. Alexander Kersten - Rechtsanwalt, Steuerberater und geschäftsführender Partner bei STEIN Rechtsanwälte Steuerberater in Köln. Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung des Stollfuß Verlags – Zweigniederlassung der Lefebvre Sarrut GmbH – zur Verfügung gestellt. Der Beitrag wurde im Newsletter eNews Steuern, Nr. 19/2024 vom 14.05.2024 veröffentlicht